“Das ist Weinproduktion der schrecklichen Art”
Seine Weine gelten als wegweisend für die Natural-Wine-Szene und er polarisiert wie kaum ein anderer. Auf Einladung von Moritz Herzog und Erich Andert (Weinskandal) war MATASSA-Winzer Tom Lubbe vor kurzem in Österreich. Wir baten den Südafrikaner in der Grazer Weinbar Frankowitsch zum Interview und platzten gerade in eine Diskussion über Fehler in Weinen. Da mussten wir also gleich nachhaken…

… was bedeutet für dich überhaupt „ein Fehler“ im Wein?
Tom Lubbe: Das kommt ganz darauf an, welche Philosophie du hast und welche nicht. Nehmen wir zum Beispiel das „Institute of Masters of Wine“ in London: Die stellen klar, was passieren darf und was nicht – und die meisten folgen diesen Vorgaben blind. Und so ist das mit jeder anderen Vereinigung auch, die festlegen will, was richtig ist und was nicht. Dann gehe ich auf die RAW-Messe in London oder auf die in Berlin und da gilt für die Natural Wines der Aussteller ein Maximalgehalt von 70 Milligramm Schwefel pro Liter Wein. Für mich hat sogar dieser – in manchen Augen – niedrige Wert nichts zu tun mit Natural Wine Making. Wer so schwefelt, gibt einfach zu, dass seine Trauben scheiße sind. Und damit auch, dass er seine Kunden verarscht. Bei 70 Milligramm Schwefel hat man 30 bis 40 Milligramm freien Schwefel. Und das ist ganz einfach Gift für den Körper. Das verursacht Kopfschmerzen und Migräne. Da geht es nicht um den Geschmack. Es verändert ganz einfach die Fähigkeit deines Körpers zu funktionieren. Das ist für mich dann zum Beispiel fehlerhafter Wein.
Welche Eigenschaft sollte Wein für dich haben?
Tom Lubbe: Ein Wein muss für mich erfrischend sein und Spannung haben im Mund. Ich suche keine flüchtige Säure im Wein. Wenn es merkbar wird, ist es näher an Essig als an Wein. Das hält mich ab vom Trinken, weil es kein Zeichen von Natural Weinen ist, sondern schlicht ein Zeichen von schlecht gemachtem Wein. Und davon gibt es viele da draußen. Danach zu streben, kann nicht das Ziel sein. Nicht als Winzer und schon gar nicht als Trinker. Aber natürlich ist das komplett subjektiv. Ein guter Wein hängt immer ab vom persönlichen Geschmack und von dem Menschen, der ihn trinkt.
Das setzt aber voraus, dass wir alle frei schmecken können, ohne dass uns Werbung oder auch nur das Etikett beeinflusst.
Tom Lubbe: Natürlich ist es schwierig sich von dem ganzen kulturellen Kontext zu befreien, wo uns eingetrichtert wird, was wir zu mögen haben und was nicht. Und da sind wir jetzt genau bei der Herausforderung der Sommelerie: Es geht nicht darum, ob Parker sagt dieser Wein ist „fucking great“ – der Sommelier ist der Vermittler. Nicht Parker oder irgendwelche Bewertungen. Das ist aber auch eine große Verantwortung, der sich die Sommelerie bewusst sein muss. Immer wieder sitze ich in Restaurants, in denen mir erzählt wird wie großartig irgendein Wein ist. Zum Beispiel allein aufgrund des Preises. Ist das ein Qualitätsmerkmal? Verlasst euch wieder mehr auf euren eigenen Geschmack.

Die Arbeit der Sommelerie ist aber nicht nur der Geschmack, sondern auch das Erlebnis. Und Storytelling ist dabei ein wichtiger Aspekt. Dass das dann einen Geschmack beeinflussen kann, ist Teil dieser Idee.
Tom Lubbe: Aber welche Geschichten werden dann erzählt? Oft unreflektiert jene Geschichten, mit denen der Händler den Wein bewirbt! Das Problem ist, dass vielen Menschen der Unterschied nicht bewusst ist – zum Beispiel was die Produktion von konventionellen Weinen im Vergleich zu Naturweinen betrifft. Die Werbung zeigt uns den italienischen Großvater, der alles händisch macht. Fastfoodketten werben mit der glücklichen Kuh auf der Alm. Und das wird geglaubt! Wenn Menschen aufhören kritisch zu hinterfragen, dann funktionieren sie als Bürger nicht mehr und eigentlich sollte man sie entmündigen. Ok, das mit dem Entmündigen meine ich natürlich nicht ernst. Aber um hier ganz klar zu sein: Großflächige Weinproduktion ist Nahrungsmittelindustrie der schrecklichen Art. Die Menschen haben sich daran gewöhnt, Wein als etwas billiges und angenehm alkoholisches zu empfinden. Es ist sozial anerkannt sich wegzustellen, indem du mit zwei Flaschen Chardonnay aus dem Supermarkt hinausgehst, die du dann am Abend in dich hinein schüttest, ehe du am nächsten Tag wieder in den Job zurück musst, den du hasst.
Fataler Fehler der Winzer
Denkst du, dass die Konsumenten überhaupt eine Ahnung davon haben, was in Wein alles enthalten sein kann?
Tom Lubbe: Bei jedem Lebensmittel muss heute genau angeführt sein, was drin ist. Beim Wein ist das nicht so, weil es sich da offiziell um ein Genussmittel und eben kein Lebensmittel handelt. Das ist natürlich eine komplett künstliche Idee. Solche Weine dienen als günstiges Betäubungsmittel für die Masse. Es ist viel einfacher und billiger mit Hilfe von Chemie einen Wein herzustellen. Vor 30 Jahren haben wir eine fatale Rechnung aufgestellt: Nehmt Chemikalien, dann habt ihr mehr Freizeit und könnt dazu die Produktion noch um 20 bis 25 Prozent erhöhen. Es war eine Falle, jeder musste mehr und mehr bewirtschaften für immer weniger Geld. Wenn auf den Weinen heute drauf stehen würde, was drin ist, dann würde das niemand mehr kaufen. Ich habe ja als Trinker begonnen und nicht als Winzer. In meinen frühen und späten 20er-Jahren habe ich viel Wein getrunken – vor allem ältere Jahrgänge. Und ich habe den Effekt gesehen, den Wein auf meinen Körper hatte. Das waren Weine mit viel Tannin, viel Eiche und viel Schwefel. Das sind fehlerhafte Weine für mich. Der Winzer will etwas verbergen – oder warum sollte er sonst so viel Schwefel in den Wein geben?
Was muss sich ändern?
Tom Lubbe: Die Idee, dass Wein ein leicht zugängliches Produkt sein muss, ist falsch. Ein englischer Journalist hat einmal kritisiert, dass meine Art der Diskussion und meine Art Wein zu machen die Weinindustrie schädigt, weil es Menschen zum Nachdenken bringt wie der Großteil der Weine hergestellt wird. Er meinte, ich könne meine Weine nur deshalb so machen, weil es auch die konventionellen Megaweingüter gibt. Aber das ist Bullshit. Es gibt keinen Zusammenhang. Das was in der Weinindustrie passiert, ist die toxische Vergewaltigung eines Kulturguts. Und wenn ich nur in meiner Region auf den Einfluss der chemischen Weinproduktion blicke, dann ist der ökologische Schaden enorm – die Natur dort wird hunderte Jahre brauchen bis sie sich erholt hat. Unsere Zivilisation basiert auf Fermentation. So vieles, was wir als gut empfinden, ist das Ergebnis von Fermentation – Brot, Käse, Würste, Bier oder eben Wein. Das sind ganz offensichtlich Prozesse, die unser Leben verbessern. Sie machen unser Leben zu etwas lebenswerten und sind vor allem wesentlich günstiger als Antidepressiva oder irgendwelche dieser anderen vielfältigen Optionen, die uns die Pharmaindustrie verkauft, damit wir ausgeglichene und glückliche Mitglieder der Gesellschaft werden.
Danke für die Übersetzung in das Deutsche an Christian Halmdienst.