Wie aus einer falschen Entscheidung die wichtigste Bewegung für biodynamischen Wein entstand

Alles begann mit einer falschen Entscheidung. Doch das konnte Nicolas Joly zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen. Es war 1977 und der damals 32 Jahre junge Joly hatte bereits eine erfolgreiche Karriere im Finanzwesen hingelegt als ihn der Ruf der Heimat ereilte. Joly übernahm das Anwesen seiner Familie an der Loire und wollte – wie so viele zu dieser Zeit – Modernität in das Weingut bringen. „Wenn ich Unkrautvernichter einsetze, würde ich 14.000 Francs sparen, wurde mir geraten“, erinnert sich Joly zurück. Er nahm den Ratschlag an. Ein fataler Fehler, denn was dann geschah, prägte ihn jedoch nachhaltig: Die Biodiversität in seinen Weinbergen stürzte sofort ab, der Boden schien wie tot. Joly musste reagieren und stieß auf die Bücher von Rudolf Steiner, die ihm Aufschluss über biodynamische Landwirtschaft gaben. Er vertiefte sich und wurde so zu einem Vorkämpfer der Biodynamie im internationalen Weinbau. Seit 1984 bewirtschaftet Joly seine Weinberge biologisch-dynamisch.
Was das bedeutet: Nach biodynamischen Prinzipien kommt der Kompost von den eigenen Kühen, Eseln, Pferden und Ziegen. In den Weinbergen gedeihen mehr als ein Dutzend unterschiedlicher Pflanzen und sorgen somit für wertvolle Mikroorganismen. „Behandelt“ wird der Weingarten mit biodynamischen Präparaten aus Heilpflanzen wie Brennnessel, Kamille, Schafgarbe, Löwenzahn und Baldrian. Anstatt Maschinen pflügen Pferde zwischen den Weinreben. Selbstverständlich werden keine Pestizide eingesetzt. Die Trauben werden so spät wie möglich gelesen, um den Wein maximale Komplexität zu geben. Joly: „Die Biodynamie erlaubt uns auch im Keller komplett ohne Önologie auszukommen. Alles passiert ganz von alleine.“
Mit seinen Ansichten, seiner Arbeit und den daraus resultierenden außergewöhnlich lebendigen Weinen hat Joly eine ganze Generation von Weinbauern weltweit geprägt. 2001 gründete er die Gruppe „La Renaissance des Appellations“, die sich zur bedeutendsten Bewegung für biodynamischen Weinanbau entwickelt hat.
Immerhin sind es strenge Auflagen, die die Gruppe – die inzwischen auf mehr als 175 Winzer aus 13 unterschiedlichen Ländern angewachsen ist – zu erfüllen hat. Verlangt wird für die Aufnahme zum einen eine biologisch-dynamische Bewirtschaftung des gesamten Weinguts über eine Dauer von mindestens drei Jahren. Zum anderen muss der Winzer eine Garantie darüber abgeben, dass im Keller der Geschmacks der Lage und Herkunft (Appellation) nicht verändert werden. Verboten sind dazu natürlich alle über 300 aromatischen Hefen, GVO-Produkte, mechanische Ernte oder Umkehr-Osmose (siehe Qualitäts-Charta). Als letzter Schritt kommt es zu einer Verkostung durch namhafte Winzer aus der Gruppe.
Warum der Gesamteindruck eines Weins wichtig ist, hat Joly in einem Interview mit dem Schweizer „Wein- & Genussmagazin taste!“ einmal so zusammen gefasst: „Heute zerstückelt man den Wein in 30 Scheiben wie eine Salami: Aromen, Zucker, Säure, Tannin. Wenn Sie mich das erste Mal treffen, fragen Sie mich ja auch nicht, wie groß ich bin, wie viel ich wiege und nach der Grösse meiner Ohren. Sie nehmen den Menschen in seiner Gesamtheit wahr. Der Wein verdient dasselbe.“