Ist Naturwein der neue Industriewein?

Ist Naturwein der neue Industriewein?

Risto Rieger: Streitbarer Weinkenner und Themenanheizer.

Risto Rieger ist Gründer, Moderator und Themenanheizer der Gruppe “Vin brutalement”. Auch hier auf KALK&KEGEL nimmt er sich kein Blatt vor den Mund. In seinem Kommentar schreibt er über Sinn, Unsinn und ein grobes Missverständnis der sogenannten Natural-Wines.

Die Geschichte ist zu Ende erzählt und überreizt. Der Markt ist satt, erschöpft und stagniert seit geraumer Zeit – langsam, aber stetig. Mit Ausnahme der Exportländer Skandinaviens und wenigen anderen, aber auch dort wird es auf absehbare Zeit vorbei sein mit den sogenannten Freakweinen. Jene Weine, die landläufig mit teils infantil bunten Etiketten als „Naturals“, Vins Naturels oder auch Naturweine daherkommen und versuchen, unser aller Aufmerksamkeit zu erregen. Teils grob fehlerhafte bis nicht verkehrsfähige Ware, die den Anspruch der Hipsterness über den des Qualitätsgedankens stellt und deren Fürsprecher sich einer vermeintlichen Öko-Elite zugehörig wähnen.

Der Begriff „Naturwein“ ist seit jeher ein Denkfehler, da es keinen Naturwein geben kann, denn die Natur schenkt uns keinen Wein, sondern allenfalls Essig. Wein ist seit jeher Handwerk des Menschen. Kultiviert, bewirtschaftet und vinifiziert von Menschenhand. Ginge es nach dem Willen der Natur, würden Wespen und Bienen sich an dem zuckersüßen Nektar der Trauben laben und Vögel die Beeren fressen, um deren Kerne mit ihren Exkrementen über das Land zu verteilen, damit neues Leben gedeihen kann.

Ideologie

Profiteure dieser Entwicklung sind ganz klar jene Betriebe, die nicht von Ideologie zerfressen und dogmatisch auf der Stelle stehen geblieben sind, sondern sich, auch auf Grund ihrer großen Expertise und Fertigkeiten hinsichtlich der Vorgehensweise in Weingarten und -keller weiterentwickelt haben. Die Exzellenz im Wein hat sich von beiden Seiten gegenseitig angenähert und befruchtet: die Traditionellen, Konventionellen auf der einen und die auf möglichst nachhaltiges Bewirtschaften und natürliche Weinwerdung nach biologischen oder biodynamischen Vorgaben bedachten Erzeuger auf der anderen Seite.

Rieger: Die Sommelerie kann beeinflussen. Und das muss sie auch.

Man trifft sich inzwischen in der Mitte, und genau dieser entspringen die wahrlich großen, grandiosen und weitestgehend nachhaltigen Weine. Nicht an den Enden des Hufeisens, sondern in der Mitte. Die Entwicklung in den letzten 15 bis 20 Jahren war extrem wichtig, um die Spreu vom Weizen trennen zu können. Die KALK&KEGEL Liste ist hier für Österreich ein Anhaltspunkt, welcher der Sommelerie bestens zur Orientierung dient. Die stärksten Erzeuger natürlicher Weine haben sich längst auf den Märkten etabliert, man findet sie weltweit auf den Karten der renommiertesten Restaurants und Weinbars. Die Prestigeweine unter ihnen erzielen auf dem Sekundärmarkt inzwischen annähernd utopisch hohe Preise, wie man sie sonst nur von großen Burgundern und Bordelaisern kennt.

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Die weinaffine, kulinarisch kultivierte Trinkerschaft hat genug von Experimenten, unzuverlässigen Weinen, die sich mal sehr gut, beim nächsten mal als untrinkbar präsentieren. Die vinophile Gesellschaft will gute bis exzellente, fehler- und ideologiefreie Weine mit größter Wertschätzung für wirkliche Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit, die nicht als Narrativ so mancher Protagonisten zur Distinktion als überstrapazierte Floskel herhalten muss.

Das Gros der Bevölkerung kauft und konsumiert ohnehin nach Preis und wird daher auch weiterhin den Discounter vorziehen. Der Sommelerie kommt hier nun eine wichtige Funktion zu. Sie ist es, die das Gute vom Schlechten zu trennen hat, um so auch dem Endkonsumenten eine Orientierung zu geben. Das kann beeinflussen. Und das soll es auch.

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