
„Wir wollen keinen Klischee-Rosé“

Louise Bryden, Kellermeisterin bei Ruinart, über die lange Tradition des Rosé-Champagners in Österreich, die neue nachhaltige Verpackung und Savoir vivre von 9 Uhr Früh bis 9 Uhr Abends. Mit Currywurst.
1761 in der Maison Ruinart. Irgendjemand kratzt mit seiner Füllfeder den Namen Kaunitz-Rietberg ins Rechnungsbuch des Champagnerhauses. Es ist die erste Lieferung ins heutige Österreich. 120 Flaschen sind es, die Wenzel Anton Graf Kaunitz-Rietberg bestellt hat. Dieser Auftrag hat durchaus eine staatstragende Bedeutung. Denn er war damals als Staatskanzler für die Außenpolitik zuständig. und durch ihn gab es eine entscheidende Wende: Nach Jahrhunderten der Feindschaft zwischen den Franzosen und dem Habsburgerreich kam es zur Annäherung, dem Renversement des alliances.
Rosé ist kein Trend
Okay, und der Wein? Was man heute noch weiß, ist dass der Wein „Paillet“ hieß und roséfarben war. Tatsächlich ist Österreich, neben Deutschland – und langsam zieht auch Japan nach – immer noch der wichtigste Rosé-Abnehmer für Ruinart, das sich als das älteste etablierte Champagnerhaus ever positioniert. Sieben Jahre sind es noch zum 300-jährigen Jubiläum. Noch einen Bezug gibt es übrigens: Der Gründer der größten Sektkellerei hierzulande, hat das Sprudelmachen bei Ruinart gelernt: Robert Alwin Schlumberger. Er übersiedelte 1842 nach Wien. Der Liebe wegen.
„Ich würde nicht so weit gehen und Rosé-Champagner als Trend bezeichnen, aber wir waren Pioniere, die Rosé in das Europa des 18. Jahrhunderts verschickt haben”, sagt Louise Bryden, Kellermeisterin bei Ruinart. „Rosé war immer geschätzt. In den vergangenen Jahren ist die weltweite Rosé-Konsumation gestiegen. Seit 2002 um 31 Prozent und jetzt beginnt es sich zu stabilisieren.” Bei Ruinart macht Rosé 20 Prozent der Gesamtproduktion aus. Das ist schon immerhin doppelt so viel wie in der Champagne üblich. Die Hälfte der Ruinart-Champagner wird im eigenen Land getrunken. Neben Japan sind die USA, ehemalige französische Kolonien in Afrika, Hongkong und Südkorea zukünftige Märkte.
Second Skin
Apropos: Wien war Brydens erstes Ziel nach mehr als einem Jahr ohne Reisen. Im Palais Coburg präsentiert sie, was sich in Zukunft ändern wird. Das dreht sich vor allem um die Aufmachung. Statt der einzelnen Holzschatullen ummantelt die Flasche nun eine „second skin”. Die weiße Schutzhülle besteht komplett aus Holzfasern und schmiegt sich wie eine zweite Haut um die Flasche, um die ikonische Silhouette zu betonen. Sie soll die herkömmliche Geschenkverpackung ersetzen, kann auch im Kühlschrank oder Eiskühler kalt gestellt werden. Und außerdem lässt sie sich bemalen oder mit Glückwünschen beschreiben.

Tja, um Ressourcenüberlegungen und Klimabewusstsein kommt man im Jahr 2021 wirklich nicht mehr herum. Die Champagne ist ein Qualitätsvorbild für die Schaumweine dieser Welt. Was die langfristig gesunde Produktion anbelangt, Biodiversität und Bodengesundheit, sieht man sich nach zukunftsfitten Vorbildern besser woanders um. Nur zwei Prozent der Weingärten sind bio oder bio-dyn zertifiziert und wahrscheinlich werden nirgendswo verhältnismäßig so viele Pestizide verspritzt. Louise Bryden rechtfertigt den Einsatz von Fungiziden mit dem hohen Pilzdruck in diesem Jahr. Es sei warm und regnerisch gleichzeitig.
Sie erwähnt gerne dazu: „Wir betreiben ein 40 Hektar großes Projekt in Taissy. Dort pflanzen wir Bäume und versuchen ein gesundes Ökosystem aufzubauen, die Böden zu erholen und die Biodiversität zu erhöhen.” Zumindest hier auf der Versuchsfläche will man den Spritzmitteleinsatz geringer halten, erklärt Bryden.
Insgesamt arbeitet Ruinart mit 300 Traubenlieferanten zusammen, manche von ihnen haben nur 1000 Quadratmeter. Bryden findet, die Balance zwischen Traubenlieferanten, Champagnerwinzern und Champagnerhäusern sei ausgewogen. Es braucht sie alle, um die Champagne zu dem zu machen, wofür sie steht.
Die Pandemie habe vieles verändert, meint sie. „Sie hat uns auch eine Welt der Möglichkeiten geöffnet. Beispielsweise wissen wir jetzt, wie wir mit Onlineverkostungen umgehen. Wie haben die neue Cuveé Dom Ruinart 2009 online gelauncht, einen Sommelierwettbewerb in Japan organisiert und teilen jetzt mehr von unserem Alltag auf Instagram. Außerdem hat es ein Umdenken bewirkt: In unserem Team denkt man jetzt zwei Mal nach bevor man die Dienstreise mit dem Flugzeug antritt.”
Von neun bis neun
Welche Trends bemerkt die Französin noch? – No na, es geht in Richtung Zero-Dosage. Auch Ruinart hat den Zuckergehalt schon fast halbiert. Vor 30 Jahren hielten sie noch 12 und 13 Gramm, heute haben Blanc de Blanc und Brut je sieben Gramm und der Rosé acht. Auch Mostaufzuckerung brauche es immer weniger, antwortet sie im Interview. Das sei dem Klimawandel geschuldet. Seit 2003 haben schon sechs Ernten im August begonnen, berichtet Bryden. Am frühesten ging es im Vorjahr los. Da war am 7. August 2020 Lesebeginn!

Eine weitere Entwicklung bezieht sich auf die Tischkultur. Es gehe immer mehr um Sharing und ungezwungenes, informelleres Ambiente. Keine langen verkopften Abende. Schlicht um savoir vivre! „Die Philosophie unseres Hauses ist ja, dass wir Produkte machen, die von neun Uhr Früh bis neun Uhr am Abend getrunken werden können!”, sagt die Kellermeisterin.
Zurück zum Rosé: „Wir wollen keinen Klischée-Rosé”, sagt Louise Bryden. Was sie wollen: Eine Beschreibung, die ohne den Zusatz „Frauenwein” auskommt. Ihr Rosè-Champagner ist ein Wein für Food Pairing. Der Rosé zeigt dabei das größte Anpassungsgeschick. „Mit seiner Farbe, Textur und Frische passt er zu Fleisch, Fisch, Gemüse und Dessert”, erläutert Bryden. Einen Vorschlag hat sie auch mitgebracht, denn das Unternehmen leistet sich eine Maison-Köchin namens Valerié. Sie kreiert ständig neue Speisen zu den Schaumweinen etwa Chicorée-Salat mit Granatapfel, Grapefruit, Olivenöl und gerösteter Ente. Beim Termin in Österreich hält Silvio Nikol die Opernballtradition hoch: Würstl zur guten Flasche Sprudel. In seinem Fall Currywurst mit Mango und Koriander. Dem Rosé steht das wunderbar.

Juliane Fischer ist ein born and raised Wein- und Obstbauernkind. In einem warmen Spätsommer, rechtzeitig vor Erntebeginn in Niederösterreich, beschloss sie auf die Welt zu kommen. Seit 11 Jahren arbeitet sie als freie Journalistin und zum Ausgleich in ihrem Weingarten. Fischer studierte Literaturwissenschaft und Austrian Studies in Wien, Salzburg und Umeå, Schweden. Sie schreibt vorallem zu den Themen Kultur, Agrarpolitik und Kulinarik und – wie könnte es anders sein – über Wein.
