Schluck-Chef: Raus aus eurer Blase!

Guido Ohlenbostel

Etablierte Marken zu verkaufen, ist keine Kunst

Der Berliner Paul Truszkowski ist Herausgeber des innovativen Weinmagazins „Schluck“ sowie Initiator des Weinblogs „Drunken Monday“. Seine Empfehlung für die Sommelerie: Durchbrecht eure Wahrnehmungsblase.

Du bist seit Jahren tief mit der Branche verwurzelt. Wie hat sich die Sommelerie in dieser Zeit entwickelt?
Paul Truszkowski: Ich hole einmal weit aus. Das Ansehen der Sommelerie hat begonnen mit Pionieren, die sich ausgezeichnet haben durch herausragendes Wissen und sich gleichzeitig eine gewisse Demut bewahrt – stellvertretend wäre Paula Bosch hier ein Beispiel. Die konnten extrem gut verkosten und blieben immer offen für Neues. Dann folgte eine Zeit, in der es sich viele einfach machten und große “Marken” verkauften, was ja jetzt nicht die Kunst ist. Oft hat man auch die lokalen Betriebe gepusht, aber den Rest der Weinwelt außen vor gelassen. Heute erleben wir viele offene Charaktere in der Branche, die mit Neugierde an die Sache herangehen und sich auf keinen Trend einschießen. Einige sind aber noch in der alte Phase stecken geblieben.

Was macht einen guten Sommelier aus?
Paul Truszkowski: Ein wirklich guter Sommelier ist kein Selbstdarsteller, sondern in erster Linie ein guter Gastgeber. Wir dürfen nicht vergessen: Wein ist der Begleiter. Und als solcher spielt er nun einmal die zweite Geige. Zuerst kommt das Essen und dann eben erst der Wein. Deshalb wird die Aufmerksamkeit auf den Koch auch immer größer. Ein guter Sommelier hört auf den Gast und kann ihn auch fordern – aber er bleibt immer Dienstleister.

Habt Mut zur Eigenständigkeit.

Also hat die Sommelerie nur einen untergeordneten Stellenwert für die Gastronomie?
Paul Truszkowski: Ganz im Gegenteil. Sie ist essenziell für jene, die sich bewusst abheben wollen. Wenn du als Gastronom heute nicht nur das Standardprogramm herunter spulen willst, dann musst du deinen Gast mit viel Gespür durch den Abend führen. Und da eignet sich die Sommelerie perfekt. Sie kann den Gast abholen, ihn auch mal überraschen oder seinen Horizont erweitern. Wichtig bleibt aber, dass man die Bühne des Restaurants nicht verwechselt als Bühne für sich selbst. Es muss immer die Bühne bleiben für den Gast, das Erlebnis des Essens und Trinkens. Was mir auf dieser Bühne aber definitiv oft fehlt, ist der Mut zur Eigenständigkeit.

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Eigenständigkeit in Bezug auf was?
Paul Truszkowski: Es geht damit los, dass man sich von Dogmen löst. Viele driften gerne in eine Richtung ab. Schwarz / weiß Denke – jedoch hat die Weinwelt mindestens so viele Farben wie ein Regenbogen. Nur ein Beispiel: Alles muss Natural sein – losgelöst davon, ob sie überhaupt wirklich wissen, was Natural ist und bedeutet. Die anderen schießen sich auf klassischen Wein ein. Dann erlebe ich auch ein Bashing gegen gewisse Rebsorten oder Regionen. So ist bei den „coolen“ Sommeliers zum Beispiel die Wachau total verpönt. Das ist Quatsch, denn natürlich passiert auch dort Spannendes. Es ist keine Kunst, etablierte Winzer / Rebsorten / Marken dem Gast zu verkaufen. Die Kunst ist es, Winzer zu finden, die in zehn Jahren so eine Marke sein können und diese Winzer dann auch in diese Richtung aufzubauen. Das erwarte ich mir von einem Sommelier.

Verlasst euch nicht auf die vermeintlichen Hohepriester des Weins

Was könnte die Lösung sein?
Paul Truszkowski: Es ist essenziell, dass jeder von uns seine Wahrnehmungsblase auch einmal durchbricht. Die Gefahr ist, dass man sich tief in ein Thema hineinarbeitet und dann den Weitblick verliert. Wir tun also gut daran, morgens aufzustehen, die imaginäre Nadel zu nehmen und diese Blase aufzustechen. Auch was den Einkauf betrifft. Zu viele Sommeliers verlassen sich heute auf zu wenige Lieferanten. Und damit meine ich jetzt nicht nur die großen Lieferanten, sondern auch die vermeintlichen Hohepriester des angeblich wahren Weins. Zu oft wird eine Monokultur der Weinkarten betrieben. Ein weiterer, essentieller Ansatz ist, dass sich ein guter Sommelier auch die Hände schmutzig machen soll. Damit man auch nur einen Hauch vom Winzerleben verstehen kann, muss man im Wingert / Weingarten gestanden haben. Nicht nur für einen Tag. Am besten mal vier Wochen am Stück in Steillagen arbeiten. Das lehrt die richtige Portion Demut vor dem Winzer-Handwerk. Dafür empfehle ich insbesondere die einschlägigen Lagen der Mosel.

Was macht eine gute Weinkarte aus?
Paul Truszkowski: Eine Mischung der Genres, die auch Platz für Newcomer bereithält. Was ich auch kritisch sehe, ist die Kalkulation mancher Läden. Das ist auch für die Gäste ein unerfreuliches Thema. In Österreich sind die Weine meist fair bis sehr fair kalkuliert, in Deutschland dagegen manchmal völlig unverschämt. Einen 9-Euro- Wein im Restaurant um 50 Euro auf die Karte zu setzen, ist fehl am Platz und kontraproduktiv. Damit verliert man Gäste – vor allem die jungen.

Ein guter Sommelier ist kein Selbstdarsteller, sondern ein Dienstleister und Gastgeber

Wie kann die Sommelerie Gäste gewinnen?
Paul Truszkowski: In dem sie entspannt und auf Augenhöhe mit den Gästen arbeitet. Ich wiederhole mich hier gerne: Ein wirklich guter Sommelier ist kein Selbstdarsteller, sondern ein Dienstleister und Gastgeber. Er verführt mit Storytelling und nicht mit technischen Details über einen Wein. Essen gehen ist immer noch eine höchst emotionale Angelegenheit. Und genau diesen Emotionen muss auch die Sommelerie leben.

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