Billy Wagner: Wir müssen uns der Verantwortung gegenüber unseren Mitarbeitenden bewusst sein
Billy Wagner zählt zu den schillerndsten Figuren der Szene. Im KALK&KEGEL Interview spricht er über seine Verantwortung als Gastronom, über Greenwashing und über die Tücken der „World’s 50 Best Restaurants“-Liste.
Das „Nobelhart & Schmutzig“ zählt zu den besten Restaurants der Welt. Wie viel Verantwortung bringt das mit sich?
BILLY WAGNER: Als Chef jedes Unternehmens bist du mit Verantwortungen konfrontiert. Wichtig ist, dass du dir bewusst wirst, wie weit diese Verantwortungen gehen. Nehmen wir einmal den ersten Lockdown her und die Tatsache, dass wir auf einmal keine Gäste bei uns bewirten durften. Da haben wir natürlich zuerst eine Verantwortung gegenüber unseren Mitarbeitenden, die wir irgendwie weiter beschäftigen mussten. Die haben Familie, müssen Mieten bezahlen und so weiter. Dann haben wir aber auch eine Verantwortung gegenüber den Leuten, mit denen wir zusammenarbeiten. Der Natur ist es egal, ob Corona da ist oder nicht. Die macht einfach weiter. Und wir wollten unsere Bauern und Produzenten nicht auf ihren Waren sitzen lassen. Aus diesen Überlegungen heraus haben wir relativ rasch reagiert und Essen in Boxen ausgeliefert. So wurden wir der Verantwortung gegenüber den Mitarbeitenden sowie gegenüber den Produzentinnen und Produzenten gerecht.

Kommt die akute Personalnot in der Branche auch daher, dass sich viele Gastronomen ihrer Verantwortung nicht in diesem Ausmaß bewusst sind?
Verantwortung hat auch damit zu tun, dass du genau hinzuhören hast, was die Bedürfnisse der Menschen sind, die mit dir arbeiten. Wir machen das regelmäßig und wissen, dass sich eigentlich alle wünschen, wenn es ein bisschen weniger an Arbeit wäre. Bei uns waren es im Schnitt unter 50 Stunden in der Woche. Das ist sehr wahrscheinlich weniger als in den meisten vergleichbaren Restaurants auf diesem Niveau. Da kommst du schnell einmal auf 60 Stunden und mehr. Und das ist gerade für Menschen, die ein kleines bisschen älter geworden sind, die vielleicht auch eine Frau oder einen Mann zuhause haben, nicht mehr machbar, weil sich das Private dann kaum mehr ausgeht. Also was machen die Leute? Die fangen an, sich einfach aus der Branche zu verabschieden. Das heißt, die wechseln in andere Berufszweige. Glücklich sind sie dort deshalb nicht automatisch, weil ihnen die Spannung und das Kreative fehlt. Aber sie rechtfertigen es damit, dass sie mehr Zeit für die Familie haben. Und ich kann das zu hundert Prozent verstehen. Wir versuchen das seit dem vergangenen Jahr mit einer 4-Tage Woche zu lösen. Natürlich ist das keine einfache Umstellung, sondern greift in absolut jeden Prozess unserer Arbeit ein. Aber die Leute haben plötzlich einen dritten Tag frei. Und das kann ein entscheidender Grund sein, warum sie im Job bleiben.

Am Ende muss sich eine 4-Tage Woche aber auch finanziell für den Arbeitgeber ausgehen. Für viele Gastronomen ist das schlicht nicht machbar, weil die Einnahmen das nicht hergeben. Ist das Essen, das verkauft wird, generell zu günstig?
Ich glaube, dass die Preise, die wir in den letzten Jahren für Essen bezahlt haben, zum Teil auf Kosten der Mitarbeitenden passiert ist. Oft wurden und werden Überstunden nicht korrekt abgegolten. Wenn es sich dann finanziell nicht mehr ausgeht, musst du weiter einsparen. Du kannst die Tischdecken weglassen, das Silberbesteck abschaffen, ja sogar auf das Personal verzichten zugunsten von Robotern oder dir Convenience-Produkte einkaufen. Oder du schaffst es, die Arbeit deiner Mitarbeitenden richtig zu kalkulieren. Und dann entsteht natürlich auch ein ganz anderer Preis.
Magazin Snipped
Wir beschäftigen uns in diesem Magazin mit der Zukunft der Branche: Was wird zukünftig funktionieren und welche Konzepte sind zum Scheitern verurteilt?
Ich tu mir mit solchen Prognosen immer schwer. Ich kann das nur für uns beantworten. Alles, was wir momentan tun, ist nicht unbedingt mehr Gäste zu bekommen, sondern mehr Mitarbeitende zu halten und zu gewinnen. Wir sind in Berlin, wir sind in Kreuzberg. Und ich will möglichst alle ansprechen. Auch aus diesem Grund versuche ich in meiner Sprache zu gendern. Mir ist es auch wichtig inklusiv zu sprechen. Ich will unser Unternehmen als vielfältig darstellen. Ganz einfach, um auch die Minderheiten anzusprechen. Das alles sind Menschen, die potenziell bei uns arbeiten könnten und die uns diverser machen, weil sie ihre Kultur, ihre Handlungsweisen und ihre Sichtweisen miteinbringen. Erst diese Vielfalt prägt uns als Unternehmen und wir alle können davon nur profitieren. Und damit tun wir genau das, was aus meiner Sicht eine zukunftsfähige Gastronomie ausmacht. Sich also der Veränderung bewusst zu sein und diese auch aktiv vorantreiben.

Was macht die Branche heute für junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter attraktiv?
Es ist eine unglaublich kreative Arbeit mit dem Kulturgut Lebensmittel. Und die ganzen Menschen, die man in diesem Kosmos dazu kennenlernt, können irrsinnig bereichernd sein. Außerdem kannst du in relativ jungen Jahren viel erreichen. Aber wir müssen auch klar erkennen, was die Jungen heute wollen. Da geht es um ganz andere Werte als lediglich darum Karriere zu machen. Wenn du beobachtest, was sich zum Beispiel gerade rund um das Thema Nachhaltigkeit tut, dann kannst du als Unternehmer nicht vorbei an diesem Megatrend. Für die Jungen ist das ein Antriebspunkt bei der Suche nach dem Arbeitgeber. Nur ein Beispiel: Letztens fahren in einem Laden Mutter und Tochter vor mir die Rolltreppe hinauf. Sagt die Tochter zur Mutter: Nein, diese Seife in der Plastikflasche kaufst du nicht, wir nehmen die in der Glasflasche. Ich war beeindruckt, mit welcher Überzeugung die Kleine aufgetreten ist. Die Mutter hat gefolgt. Die Entscheidungsgrundlage für einen Kauf hat längst auch mit einem nachhaltigen Denken zu tun. Und da muss sich auch die Gastronomie entsprechend neu definieren und neu erfinden.
Du wurdest vom Guide Michelin 2021 für eure nachhaltige Arbeit im „Nobelhart & Schmutzig“ mit einem grünen Stern ausgezeichnet, hast diesen aber zurückgegeben. Warum?
Genau genommen kann ich ihn nicht zurückgeben. Ich will ihn aber gar nicht haben. Meine Kritik daran war und ist, dass Michelin unser nachhaltiges Tun nicht wirklich in der Tiefe überprüft hat und ich demnach annehmen muss, dass sie das bei anderen Restaurants ebenso oberflächlich handhaben. Am Ende ist das gefährlich für die komplette grüne und nachhaltige Bewegung, aber auch für mich als Unternehmer. Ich für mich kann schon ganz klar bewerten, wo ich ernsthaft und ehrlich in der Thematik gute Arbeit leiste. Aber lege ich auch für die ganzen anderen Restaurants die Hand ins Feuer? Wie oft schon haben unsere Produzentinnen oder Produzenten erzählt, dass andere Restaurants mit ihren Produkten werben ohne jemals bei ihnen eingekauft zu haben. Wenn es also nur um das geht, was ich auf der Homepage schreibe und das dann nicht einmal ordentlich geprüft wird, ist das gefährlich. Da baut dann irgendeiner mit einem grünen Stern mal Scheiße, wird von einem investigativen Journalisten aufgedeckt und alle anderen mit grünem Stern werden mit hineingezogen.

Bei der „The World‘s 50 Best Restaurants“-Liste, die vom umstrittenen Nestle-Konzern mit dem Unternehmen „San Pellegrino“ gesponsert wird, warst du nicht so zimperlich. Dort findet ihr euch stolz auf Platz 17 wieder. Wie argumentierst du das?
Als wir 2018 erstmals auf Platz 88 in diese Liste eingestiegen sind, haben wir uns genau diese unangenehme Frage auch gestellt. Und uns war klar, das kann Ärger geben. Also haben wir abgewägt und sind uns letztendlich auch unserer Verantwortung bewusst geworden, was diese Auszeichnung für unsere Idee der Nachhaltigkeit bedeuten kann. Über diese Liste bekommen wir eine weltweite Aufmerksamkeit für dasThema und können damit eine Reichweite generieren, die auch für andere nützlich wird. Sicher ist die 50-Best Liste die umstrittenste Restaurantliste, die es gibt. Wie jede andere Liste hat auch diese ihre Tücken. Alle Restaurants, die auf dieser Liste stehen, gelten aber als Restaurants, die zur Avantgarde gezählt werden und wo man mal gegessen haben sollte. Wir finden das wichtig. Und wir finden es wichtig, dass wir drauf sind. Wieso? Die Hütte bleibt weiterhin voll und wir können das tun, was wir tun. Aber viel wichtiger: Der Scheinwerfer scheint nun stärker und heller als je zuvor auf Deutschland. Nicht wegen den drei Sterne hier oder dort, sondern weil Deutschland nun endlich ein Restaurant mit einer eigenständigen deutschen Küche auf der Liste hat. Wir sind aber nicht alleine, sondern im Geiste fühlen wir uns verbunden mit den Restaurants wie dem „Ernst“, dem „Forsthaus Strelitz“, dem „Horvath“ und vielen weiteren. Wir alle prägen gerade eine neue Generation mit anderen Werten und einem neuen Verständnis für die deutsche Küche. Und Deutschland wird in Zukunft nicht nur für Wurst und Fußball stehen. Deutschland hat nach Frankreich die meisten Michelin-Sterne, aber bis dato wurde Deutschland noch nie für seine eigenständige Küche im Ausland ausgezeichnet oder anerkannt. Nun haben wir die Chance, dass sich das in Zukunft ändert. Und dafür arbeiten wir und strengen wir uns an, denn wir wollen auch in Zukunft das Beste aus der Region auf die Teller bringen. Das ist meine Rechtfertigung für diese Liste. Die Zukunft beginnt jetzt und wir können sie aktiv mitgestalten.
- Nobel, hart und einfach geil
Billy Wagner eröffnete das „Nobelhart & Schmutzig“ im Jahr 2015 gemeinsam mit seinem Chefkoch Micha Schäfer. Er wurde mehrfach zum Sommelier des Jahres gekürt. Diese Position nimmt inzwischen Alexander Seiser ein. Das „Nobelhart & Schmutzig“ liegt in der „The World’s 50 Best Restaurants“-Liste aktuell auf Platz 17.
Meiko Snipped