Die Zukunft der Küche ist fleischlos

Die Zukunft der Küche ist fleischlos

In der aktuellen Debatte rund um die Einführung einer Ausbildung für vegane Köche in Österreich haben wir uns angesehen, wohin denn die Zukunft in der internationalen Gastronomie geht. So viel ist klar: Fleisch und auch Fisch werden zunehmend eine untergeordnete Rolle spielen. Ein Lokalaugenschein von der Schweiz über Deutschland bis nach Österreich.

Schlagworte suchen alle vergeblich, die neugierig die Website des Schweizer Zweisterne-Restaurants Magdalena aufrufen. Von vegan oder vegetarisch steht da nichts, stattdessen wird auf die verwendeten Zutaten verwiesen, die zu einem großen Teil aus der Umgebung stammten. Man wolle mit einer „gemüsebasierten Küche verwöhnen“. Nicht mehr, nicht weniger. Reicht doch auch. „Ich möchte nicht dogmatisch sein“, erklärt Dominik Hartmann-Suter, der Magdalena-Küchenchef. Gemüse habe schon ganz am Anfang im Mittelpunkt gestanden, und was lag näher, als noch einen Schritt weiterzugehen. Kein Fisch, kein Fleisch. Seit Anfang 2022. Klappt. Hartmann wird gerade als wegweisend herumgereicht, kochte beim letzten St.-Moritz-Gourmetfestival, kann sich als einziger vegetarisch aufgestellter Koch Europas die zwei Michelin-Sterne ans Revers heften. (Macht er natürlich nicht, denn der Mann ist eher bescheiden.) Dass so was Innovatives nicht in Zürich entsteht oder in Genf, sondern in Rickenbach, einem verschlafenen Vorort von Schwyz, wo traditionell Deftiges tierischer Herkunft auf den Teller gelangt, ist erstaunlich.

2 Michelin Sterne mit vegetarischer Kochkunst: Dominik Hartmann-Suter, Küchenchef im Restaurant Magdalena Redaktion

Vielleicht aber sieht die neue Zeit exakt so aus. Und vielleicht ist es gerade das Nichtsodogmatische, dass jetzt und in Zukunft Erfolg haben wird. Eine fast vegane Küche oder eine beinah vegetarische, in jedem Falle eine mit Persönlichkeit. Ist der Küchenchef bekannt, wird es umso einfacher, das Ganze erfolgreich zu vermarkten. Zu Nils Henkel ins Bootshaus im deutschen Bingen, geht man ja, weil der Mann mal drei Sterne im Guide Michelin hatte, für seine Pure Nature Cusine bekannt wurde und Fleischfreies wie Aubergine mit Teriyaki-Bouillon, Meerrettich und Limone ebenso super hinbekommt wie Seehecht und Schweinebauch.

Nils Henkel: Grüner Spargel mit Misocreme, Sojaschaum und Umeboshi Pflaumen Redaktion

Allenfalls ein bisschen dogmatisch ist das Aufwind in Berlin, das einen neuen Begriff in die Debatte geworfen hat. Man firmiert als erstes offen pescatorisches Restaurant Berlins – allerdings ist die Sache nicht missionarisch angelegt. „Wir sagen nicht bei jedem Gang dazu, dass wir gerade ein pescatorisches Gericht servieren“, erklärt Wenzel Büchold, der Chef. Pescatorisch plus arbeitet das Team sogar, denn es wird ausschließlich Fisch aus Deutschland verarbeitet; auf Produkte wie Scampi, Thunfisch und Lachs verzichtet man. Der Verzicht auf Fleisch mischt sich hier mit einem generellen Bedürfnis zur Nachhaltigkeit und zeigt exemplarisch, dass es vielen Gastronominnen und Gastronomen nicht in erster Linie um strikten Verzicht auf Tierisches, sondern darum geht, den ganz oder halb den richtigen Weg einzuschlagen. Ob das Bio-Küche ist (wie im Hofgut Ruppertsberg in der Pfalz), ob ein starker Fokus auf Zusammenarbeit mit heimischen Erzeugern gelegt wird (wie im Nobelhart & Schmutzig in Berlin): Viele Wege führen ins kulinarische Rom.

Puristisch

Puristisch geht es natürlich auch, erfolgreich sowieso. Ob sie einen Trend zur rein veganen Küche bemerke? „Ja natürlich“, sagt Annett Förster, Inhaberin des Restaurants Das Försters in Berlin. Dass man hier vegan kocht, streng und ohne Ausnahmen, daraus macht man nicht den geringsten Hehl. Doch es gibt einen merklichen Austria-Fokus mit Schnitzel, Kaiserschmarrn sowie österreichischem Wein und vielleicht gerade deshalb immer wieder Gäste, die neugierig reinschnuppern. „Es kommen oft auch Menschen, die die nur hin und wieder vegan essen und sich sonst mischköstlich ernähren“, sagt Förster. „Natürlich aber auch Gäste, die wegen einer oder wenigen Personen, die sich vegan ernähren, ein veganes Restaurant wählen, in Summe sind die Gruppen aber oft auch in der Mehrzahl mischköstlich.“ Viele anzusprechen, scheint offenbar sinnvoll. Kann Paul Ivić, mit seinem Tian in Wien und dem dortselbst angesiedelten Bistro am Spittelberg, bestätigen. „Wir sind in allen Betrieben seit Jahren sehr gut besucht“, sagt der Doyen der vegetarischen und veganen Küche Österreichs auf höchstem Niveau. „Bei uns höre ich von unseren ‚neuen‘ Gästen, dass sie uns aufgrund unserer bisherigen Arbeit mit großem Vertrauen und Neugierde begegnen. Was ich beobachte ist, dass viele offener, entspannter und neugieriger geworden sind.“

Paul Ivic aus dem TIAN in Wien (4 Gault&Millau Hauben, 1 Michelin Stern): “Was ich beobachte ist, dass viele offener, entspannter und neugieriger geworden sind.” Ingo Pertramer

Neugier ist auch das Stichwort für Andreas Krolik, den Küchenchef des Restaurants Lafleur in Frankfurt am Main. Zwei Sterne vergab der Michelin beispielsweise für seine Etouffée-Taubenbrust mit Gewürzlack, aber auch für Waldpilze mit Trüffel, komprimierter Aubergine und Bohnen mit Waldpilzessenz. Bereits seit 2014 ist jeweils eines der beiden Menüs komplett vegan gehalten, während das andere wie früher mit Fleisch, Fisch und Meeresfrüchten prunkt. Krolik hat beobachtet, dass Gäste kommen, die einfach mal aus Lust und Laune vegan speisen, dass sich aber auch junge Köchinnen und Köche bewerben, um in eine Küche hineinzuschnuppern, die das gehoben Vegane wie kein anderes in Deutschland durchdacht hat. Dass Krolik bei der letzten Madrid Fusión eingeladen war, seine Philosophie auf der Bühne des wichtigsten Food-Symposiums Europas zu präsentieren und in wenigen Wochen nach Bogotá fliegen wird, zur Südamerika-Version selbiger Messe, wundert nicht. Neugier zeigen ja nicht nur die Gäste, sondern auch die Köche. Einfach mal ausprobieren, was möglich ist, herumtüfteln, wie sich Saucen mit ähnlicher Tiefe erzeugen lassen wie mit Knochen (Pilze!): Das war für Andreas Krolik eine wichtige Motivation.

Vegan

Apropos Motive. Wer als Gastronom glaubt, mit einem verstärkten Angebot vegetarischer oder veganer Speisen in Zeiten der Inflation Geld zu sparen, liegt weitgehend falsch. „Viele Sachen sind bei pflanzlichen Produkten nicht subventioniert, so dass hier generell schon höhere Kosten anstehen“, sagt Annett Förster. „Darüber hinaus werden pflanzliche Produkte oft mit dem höheren Steuersatz besteuert. Den Preisanstieg bei den Rohstoffen merken wir natürlich auch, einen Wettbewerbsvorteil haben wir als veganes Restaurant nicht.“ Paul Ivić bleibt entspannt. „Sehr gute Qualität hat ihren Preis und ist diesen auch wert. Da wir jedoch fast alles komplett verarbeiten hält es sich hier gut die Waage.“ Auf die drohende Inflation habe man mit der Anpassung der Gehälter reagiert – und wie immer gelte es optimistisch mit einer Krise umzugehen. Gute Laune lässt sich auch Andreas Krolik nicht verderben. „Da wir viele Produkte regional beziehen, sind die Preissteigerungen bei Obst und Gemüse teilweise nur moderat“, sagt der Frankfurter. Kostenfallen indes lauern manchmal da, wo sie sonst keiner vermutet. „Beim Pilzzüchter ist beispielsweise das Pilzsubstrat enorm teuer geworden.“ Auch Bio Äpfel und Bio-Erdbeeren seien aufgrund der Trockenheit im Preis gestiegen. Ein bisschen tröstet es, dass die Preissteigerungen bei tierischen Produkten wie Milchprodukten, Fleisch, Fisch und Meeresfrüchten nochmals höher ausfallen. „Was aber unabhängig von vegan oder konventionell deutlich zu Buche schlägt, sind die enormen Preissteigerungen bei Verpackungsmaterialien, Hygiene und Reinigungsmitteln.“

Junge Köchinnen und Köche bewerben sich im Frankfurter Lafleur, um in eine Küche hineinzuschnuppern, die das gehoben Vegane wie kein anderes in Deutschland durchdacht hat. Küchenchef ist Andreas Krolik. Redaktion

Nicht unterschätzt werden sollte auch die Personalsituation. „Vegetarische Küche bedarf in der Vor-/Zubereitung nicht minder viel an Zeit und Aufwand“, betont Joachim Wissler, der in seinem Restaurant Vendôme nahe Köln seit neuestem mehr auf Gemüse setzt als je zuvor. „Die Nachfrage nach vegetarischen Gerichten hat stetig zugenommen und mich bewogen, unser Angebot dahingehend anzupassen“, so der Zwei-Sterne-Koch. „Sicherlich bedürfen Gerichte mit zum Beispiel geschmorten Fleischkomponenten zeitlich mehr Aufmerksamkeit, jedoch sind auch vegetarische Gerichte mit zum Beispiel Fermentation ebenfalls länger im Vorfeld vorzubereiten.“

Zukunft

Wie sich das Ganze entwickelt? Linear oder exponentiell? Noch strenger gar als „nur“ vegan? Schwer zu sagen. Während die einen Gäste Nachhaltigkeit in extremer Weise betonen und fordern, dass jede Speise auf ihre Auswirkungen auf die Erderwärmung geprüft werden müsse – das Stichwort heißt Klimatarier statt Vegetarier –, müssen andere sparen. So manches Top-Restaurant merkt das bei den Reservierungen. Bei Daniel Humm, im so gut wie veganen Drei-Sterne-Restaurant Eleven Madison Park in New York, war am Tag, an dem dieser Artikel geschrieben wurde, auch für den nächsten Service noch mindestens ein Tisch verfügbar. Von wegen monatelange Vorbestellungsfristen wie bei so manchem konventionell kochenden Kultlokal! So streng wie bei Humm soll es nicht überall zugehen. „Viele Köche wollen nicht auf Milchprodukte, Eier und Co. verzichten“, sagt Andreas Krolik. Seafood und Fleisch könnten stattdessen irgendwann teurer Luxus werden und, ohne Massentierhaltung, dann gerade in der Topgastronomie eine Heimat finden.

„Vegetarische Konzepte werden sich definitiv weiter etablieren, auch weil die Nachfrage bei immer mehr Menschen steigt“, sagt 3-Sternekoch Andreas Caminada. Redaktion

Dazu passt die Einschätzung Andreas Caminadas. „Vegetarische Konzepte werden sich definitiv weiter etablieren, auch weil die Nachfrage bei immer mehr Menschen steigt“, sagt der Inhaber von Schloss Schauenstein im schweizerischen Graubünden, der im vergangenen Jahr einen vegetarischen Sidekick namens Oz eröffnete. Viel Gemüse aus eigenem Anbau kommt hier auf die kleine Theke – es gibt nur maximal zehn Plätze –, doch Milchprodukte bleiben eingebunden. „Die gemüsefokussierte Küche ist, denke ich, nicht die alleinige Zukunft, sondern eine sehr geschätzte, wichtige Ergänzung zu einer Essweise, bei der Fleisch und Fisch viel bewusster und weniger konsumiert werden.“

Amuse-bouche im Magdalena: Karotte und Sanddorn Redaktion

Wenzel Büchold aus Berlin glaubt, übrigens auch, dass seine Form der Gastronomie Zukunft habe, dass es aber weiterhin Restaurants mit Fleischangebot geben werde. „Aber es geht weg von der Massentierhaltung.“ Ganz sicher wird die Zukunft aber auch mehr Konzepte zeigen, bei denen man erst auf den zweiten Blick merkt, dass Fleisch kaum eine Rolle mehr spielt. So wie im Berliner Coda, einem auf Desserts spezialisierten High-End-Restaurant. So wie im Vegitalian in Salzburg, wo klar wird, dass italienische Küche – Pizza Funghi oder Spaghetti Rucola & Pomodorini – prima vegan umzusetzen ist, ohne dass es wesentlicher Abstriche bedarf. Und warum nicht noch ein bisschen mehr Spaß einbauen und gleich den Tierschutzgedanken integrieren? Katzentempel nennt sich ein junges deutsches Franchisekonzept, das bereits sechs Restaurants betreibt und es den Gästen erlaubt, zwischen den veganen Gängen Stubentiger zu streicheln. Wenn das nicht nachhaltig ist!

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